Es gibt innerhalb
der Filmbranche wohl kaum einen Menschen, dessen Name so vielfältige Assoziationen
hervorruft, über den man - bei näherem Nachdenken - jedoch so gar nichts weiß.
Alfred Hitchcock ist bis heute das wohl 'bekannteste Mysterium' der Filmgeschichte.
Die Anekdoten, die Alfred Hitchcock in leicht variierender Form zum Besten gab,
seien wie er beteuerte 'wahre' Geschichten. Ob sie sich jemals tatsächlich so
zugetragen haben, wie Hitch sie gern berichtete, sei dahingestellt, fest steht
jedoch, dass sie Bestandteil seines Lebens in jedem Fall geworden sind. Will
man etwas über den Menschen Hitchcock erfahren, der Privatperson näher kommen,
sollte man sich mit dem umfangreichen filmischen Schaffen des 'Master of Suspense'
auseinandersetzen. »Denn Hitchcock ist nicht so sehr in seinen Filmen - er ist
seine Filme« urteilte bereits John Russell Taylor, der Verfasser der einzig
'autorisierten' Hitchcock-Biografie. Das »großartige, sehr komplexe Werk« Hitchcocks,
das insgesamt mehr als 70 Kinofilme und Fernsehproduktionen umfasst »in seiner
Breite darzustellen« haben sich die Filmmuseen Düsseldorf, Frankfurt, München
und Potsdam zum hehren Ziel gesteckt, für dessen Verwirklichung sie erstmalig
kooperierten. Unter dem Titel »Obsessionen. Die Alptraum-Fabrik des Alfred Hitchcock«
erschien parallel zur gleichnamigen Ausstellung ein Buch, das die Ausstellung
anlässlich des 100. Geburtstags des virtuosen Regisseurs ergänzend begleitet.
Der Analyse der Hitchcock'schen Obsessionen widmen sich fünf Beiträge unterschiedlicher
Autoren, denen einige Bemerkungen zur Beziehung Alfred Hitchcocks zu
den 'Universal Studios' vorausgehen, dem Hauptsponsor der Ausstellung. Die Perspektiven,
aus denen sie das Werk Alfred Hitchcocks näher beleuchten, fanden bisher unter
den zahlreichen Publikationen kaum oder keine Beachtung. Hartmut W. Redottée
beleuchtet die »Leid-Motive« des Hitchcock'schen Universums, seines Gesamtwerks
also, »unter dem Aspekt charakteristischer ästhetischer Verfahren, wiederkehrender
Themen und signifikanter Leitmotive«. Ausgangspunkt einer jeden Auseinandersetzung
mit Hitchcock müsse der Begriff des 'Suspense' sein, ein Verfahren vieler seiner
Filme, das untrennbar mit Hitch verbunden ist, wodurch der Zuschauer zum Mitwisser
wie zum Mittäter wird - in den vom Regisseur vorgesehenen Grenzen versteht sich.
Weitere 15 'Leid-Motive' bringt der Verfasser uns nahe, so einprägsam, dass
man den eigenen 'Identitätsverlust' zu fürchten beginnt, das Eigenleben 'unheimlicher
Häuser' unendlich plastisch erscheint, 'Streifen - Gitter und Schatten' zu prophetischen
Boten drohenden Unheils umgedeutet werden, um nur eine Auswahl zu nennen. Wir
bekommen einen durchaus eindrucksvollen Einblick in das subjektive kinematografische
Universum Alfred Hitchcocks vermittelt. Marli Feldvoß unternimmt eine eingehende
Betrachtung der Geschlechterverhältnisse im ëuvre des Meisters. Den archetypischen
Hitchcock-Helden verkörpere James Stewart in Vertigo, der schwache Mann, der
den Anforderungen seines Polizisten- oder Detektivberufs nicht gewachsen ist.
Ihm zur Seite stellt Hitchcock eine 'starke' Frau. Das Schicksal dieser starken
Frauen bei Hitchcock ist bestimmt von psychischen wie physischen Qualen, sie
werden Opfer pathologischer Lustmörder oder ihr Lebensglück ist abhängig von
neurotischen Muttersöhnchen, stellt Marli Feldvoß fest. Sie bringt uns den 'neurotischen'
Beziehungen zu kühlen Blondinen näher, wir lernen die Hitchcock'sche Mörderin
kennen, deren Tat stets Notwehr ist, wir erfassen die Schwierigkeiten weiblicher
Identitätsfindung und begreifen: »Die Hitchcock'sche Urszene heißt Frauenmord,
und die Mörder sind unter uns - Männer«. Daniel Kothenschulte weiht den Leser
in die raffinierten Vermarktungsstrategien des kreativen Regisseurs ein, der
sich zu Lebzeiten zur Kunstfigur stilisierte und sein Werk der Kritik schmackhaft
machte. Joseph Garncarz berichtet anhand zeitgenössischer Kritiken Einzelheiten
aus der 'berlinerisch-bayrischen' Periode Hitchcocks, die sich über einen Zeitraum
von zwei Jahren erstreckte. In dieser Zeit entstanden »stofflich englische und
stilistisch deutsche« Arbeiten: The Blackguard (1925), The Pleasure Garden (1925)
und The Mountain Eagle (1926). Den Abschluss bildet ein Beitrag von Joost Raessens,
der mit Hilfe philosophischer Theorien von Gilles Deleuze und Herman De Dijn
aufzeigt, inwiefern die filmischen Arbeiten Alfred Hitchcocks an der Schwelle
vom klassischen Hollywood-Kino zum Kino der Moderne stehen, wobei Hitchcock
zugleich der letzte Klassiker und der erste Moderne sei. Das Buch bietet vertiefend
einen facettenreichen Einblick in einzelne Themen der Obsessionen-Ausstellung.
Es ersetzt diese keineswegs, vermittelt jedoch auch unabhängig von einem Ausstellungsbesuch
interessante Details des komplexen Werks und versammelt im Anhang Quellentexte
der Jahre 1925/26, die nach mehr als 70 Jahren erstmals wieder veröffentlicht
werden. Eine lobenswert detaillierte Filmografie beschließt den Obsessionen-Band.
Das 'Mysterium' eines der bekanntesten Regisseure bleibt bestehen. Genau darin
liegt die Faszination, die von Alfred Hitchcock bis heute ausgeht. Eva Rieger
bringt es auf den Punkt: Das gerade macht das Oeuvre Hitchcocks so reizvoll:
es bietet ein schier unendliches Geflecht an Möglichkeiten des Verstehens und
Auslegens. Wie wahr.
Filmmuseum Düsseldorf (Hrsg.) Obsessionen - Die Alptraumfabrik des Alfred Hitchcock Marburg Schüren-Verlag 2000 192 Seiten. 28 DM
[mmm]
Setzt
man die Popularität seiner Filme ins Verhältnis zu den Informationen, die über
den Regisseur Tim Burton im deutschsprachigen Raum publik sind, so ist es schon
verwunderlich, dass erst 2000 eine Monografie über ihn erschienen ist. Filme,
wie Batman (1989), Batman Returns (1992) oder Ed Wood (1994) waren ja nicht
nur ökonomisch extrem erfolgreiche Produktionen, sondern festigten auch früh
das Bild von Burton als einem Regisseur mit einem eigenen, unverwechselbaren
Stil Ü einem Filmautoren. Vom Bertz-Verlag liegt nun ein 192-seitiger Band über
das Schaffen Burtons vor. Der Autor Helmut Merschmann (Dissertertation über
das postmoderne Mainstreamkino) kennt sich bestens aus und ist in der Lage,
Burtons Filme angemessen zu deuten. Dies unterlässt er allerdings, zugunsten
einiger motivgeschichtlicher Zusammenhänge - eingebettet in eine produktionsästhetische
Werkschau, für die er dann allerdings sämtliche Produktionen von den frühen
Kurzfilmen Vincent (1982) und Frankenweenie (1984) bis hin zu seinem jüngsten
Geniewurf Sleepy Hollow (1999) hinzu zieht. Daher bildet Merschmanns Buch dann
auch eine Ausnahme in der sonst sehr analytischen Reihe "Film" des Bertz-Verlages.
Einzig der von Dirk Schäfer beigesteuerte Essay über die Filmmusik Danny Elfmans,
die ja fester Bestandteil in Burtons Filmografie ist, liefert neue und interessante
Sichtweisen. Vielleicht hätten dem Buch 100 oder 200 Seiten mehr gut getan.
Dann hätte es auch ein Format bekommen, dass sich neben den anderen Bertz-Filmbüchern
(etwa über Hitchcock oder Kubrick) hätte sehen lassen können. So belässt Merschmann
es bei Informationen für den sogenannten "Filminteressierten" mit immerhin dem
Vorzug, das ëuvre Burtons endlich einmal geschlossen zu betrachten.
Helmut Merschmann Tim Burton BERTZ-Verlag, Berlin 2000. Reihe: Film: 5 192 Seiten. 29 DM
[Stefan Höltgen]
Die
Abenteuer des Brisco County jr. (1993 - 94), mit dem Evil Dead-Star Bruce Campbell
in der Hauptrolle und die legedäre Serie Die Zwei (GB 1971-72) mit Tony Curtis
und Roger Moore als Titelhelden bilden den Rahmen der im vergangenen Jahr erschienen
Enzyklopädie Kultserien und ihre Stars von Harald Keller. Dazwischen finden
sich 125 weitere Serienhighlights von den Anfängen des Fernsehens bis heute.
Akribisch und mit einem Hang zu skurrilen Details trägt Keller Fakten zusammen,
lässt (teilweise zeitgenössische) Kritiker zu Wort kommen. Nebenher berichtet
er von den Produktionshintergründen, den Stars der Serien (nebst deren Schauspielervergangenheit),
sowie dem Zuschauerecho, das selbst bei den Serienveteranen wie etwa der deutschen
Raumpatrouille (1966) noch heute zu vernehmen ist. Durch zahlreiche Screenshots
und Infoboxen wird der meist 2- bis 3-seitige Text, der sich mit je einer Serie
oder einem Star befasst, abgerundet. Der Höhepunkt einer jeden Seite befindet
sich an ihrem unteren Rand: Produktionsnotizen, Pressestimmen, Adressen von
Fanclubs und nicht zuletzt eine Auswahlbibliografie machen aus der Besprechung
einen wertvollen Einstieg in die weiterführende Beschäftigung mit dem Thema.
Nicht ganz klar wird allerdings, warum Keller die Serien alphabetisch und nicht
chronologisch sortiert; so lassen sich die Einzelbeiträge zwar schneller auffinden,
die Produktionszusammenhänge Ü die im Text durchaus angesprochen werden Ü sind
so jedoch nicht unbedingt nachvollziehbar und der Charakter einer Genealogie
geht verloren. Gänzlich unbegreiflich erscheint die Auswahl der Einzelbeiträge.
Sicherlich: In einem Band lassen sich nicht alle je gelaufenen Serien besprechen.
Daher nimmt Keller ja auch die (recht schwammige) Abgrenzung zwischen "Serie"
und "Kultserie" vor. Doch warum dann zum Beispiel Serien wie Beavis & Butthead
der Vorzug vor der Serie The Simpsons gegeben wird (die gar nicht mit aufgeführt
ist!) und warum Michael Landon nur Erwähnung in Bonanza findet, seine interessantesten
Serien (Unsere kleine Farm und Ein Engel auf Erden) gar nicht erwähnt werden,
bleibt unklar. Eine Katastrophe schlechthin bildet das gänzliche Verschweigen
der Serie The Waltons. So liegt mit "Kultserien und ihre Stars" zwar ein interessantes
Nachschlagewerk vor, aber keines, dass den Eindruck der Vollständigkeit erweckt.
Vielleicht wird dieses Manko ja bei einer neuen Auflage behoben.
Harald Keller Kultserien und ihre Stars Rowohlt Verlag. Reinbeck 1999. rororo Sachbuch 16526. 477 Seiten (Taschenbuch). 29,90 DM.
[Stefan Höltgen]
Tatsächlich
lassen wir uns von Schauspielern etwas vorspielen, wir schauen ihnen hypnotisiert
zu, wenn auch in dem Bewusstsein, dass nicht wirklich ist, was wir sehen, dass
die Schauspieler nicht das sind, was sie vorgeben. Knut Hickethier empfindet
dieses Sich- einer ÜIllusion ÜHingeben als "rational nur schwer begreifbares
Rätsel menschlicher Kommunikation". In seinem Aufsatz Der Schauspieler
als Produzent stellt er Überlegungen zur Theorie des medialen Schauspielens
an und meint damit vor allem Aneignungstheorien. Was muss der Schauspieler tun,
um zu dem von ihm oder vom Regisseur gewünschten Ausdruck zu gelangen?
Das ist die Frage, die sich auf die Rollengestaltung bezieht. Hickethier geht
kurz auf frühe Formen des Produzierens ein, (für die Darsteller standen
hier vor allen Dingen zahlreiche Variationen des autosuggestiven Hineinversetzens
in Situationen im Vordergrund) um anschließend hypothetisch die Reduktion
dieser Vielfalt zu konstatieren und dies mit der wachsenden Etablierung und
Standardisierung von Film- und Fernsehproduktionen in Verbindung zu bringen.
Oft liegt heute die Assoziation mit mechanisch agierenden Holzpuppen beispielsweise
in Seifenopern nahe, während der Schauspielstil des stummen Films häufig
als unnatürlich und übertrieben kritisiert worden ist. Die Darsteller
hätten das Fehlen von Sprache und Stimmmodulation als Ausdrucksmittel gestisch,
mimisch und körpersprachlich kompensieren müssen, bemerkt Corinna
Müller zur Veränderung des Schauspielens im stummen Film. Gerade darin
aber läge eine der zentralen Komponenten der Kunstform des stummen Films,
"denn seine Darsteller entwickelten mit ihrer ausdrucksvollen Körpersprache
und mit ihrer Sprechmimik eine neue Form der Darstellung, die weder im Theaterspiel
noch in der Pantomime ein Äquivalent hatte". Mit dem Körper auf
der Bühne setzt sich Ulrike Haß auseinander. Am Beispiel Emilia Galottis
verleiht sie der Annahme über Synthese von Individualität und Leib
Lebendigkeit und differenziert Körperformen. Dominique Blüher unterstreicht,
dass bisher theoretische Ansätze zur Analyse der filmischen Figur in Frankreich
nur vereinzelt existierten und widmet sich drei französischen Autoren.
André Gardies kläre in seinem eher semiotisch ausgerichteten Artikel
gängige Begriffe zur Beschreibung der filmischen Figur und bringe gewisse
Klarheit in die zur Verfügung stehende Terminologie. Ausgehend von einer
Philippe-Harmons-Studie der Figur im Roman biete Marc Vernet Grundlagen zu einer
narratologischen Analyse der filmischen Figur an, während Nicole Brenez
sich für die eigentlich darstellende Funktion des Körpers und des
Spiels der filmischen Figur interessiere. Vergleichsweise stiefmütterlich
sei der Problemkomplex Theorie und wissenschaftliche Analyse des medialen Schauspielers
bisher behandelt worden, meinen die Herausgeber einer Sammlung von Texten, die
sich diesem Thema anhand des konkreten Falles beispielsweise der Bardot oder
Henny Portens, aber auch auf historische oder systematische Weise nähern.
Anlass für diesen Reader war eine Tagung der Gesellschaft für Film-
und Fernsehwissenschaft (GFF) an der Universität Marburg unter dem Titel
"Der Körper im Bild: Schauspielen-Darstellen-Erscheinen", die
im Herbst 1996 stattfand.
DER KÖRPER IM BILD: SCHAUSPIELEN Ü DARSTELLEN Ü ERSCHEINEN Heinz B. Heller / Karl Prümm / Birgit Peulings (Hrsg.) Schriftenreihe der Gesellschaft für Film- und Fernsehwissenschaft (GFF) Schüren-Verlag 1999 183 Seiten. 29 DM
[kom]
Kino/
Film und Großstadt gehören von Beginn an zusammen. (Diese These darf angesichts
der zu betrachtenden Entwicklung der Filmtheater unkommentiert bleiben.) Es
ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Großstadt immer wieder als Thema oder
Motiv im Film erscheint. Schon in den Titeln beispielsweise der filmisch skizzierten
Wim-Wenders-Stadtlandschaften Silver City, Summer in The City oder Alice in
den Städten wird auf das Sujet Großstadt Bezug genommen. In Durch die Augen
sehen wir die Städte von Guntram Vogt werden diese und andere Filme des bekannten
Regisseurs einer näheren Betrachtung unterzogen. Architektur auf der Leinwand
als Inspiration und somit Vorboten für tatsächlich entstehende Gebäude? Frank
Arnold diskutiert diese Idee unter anderem in Von Metropolis nach Hollywood.
In einem Streifzug wird hier die Stadt im Science-Fiction-Film beleuchtet und
damit ein guter Überblick gegeben. Ein zentraler Begriff im Austausch über den
Dschungel Großstadt ist der Film Noir. Paul Schrader definiert in seinen Notizen
zum Film Noir die hier gezeigte Atmosphäre als "die Welt der dunklen, schlüpfrigen
Großstadtstraßen, des Verbrechens und der Korruption". Sich darauf beziehend
weitet Norbert Grob aus "...das Universum von Stadt, Nacht und Regen, von Staub,
Schmutz und Nebel, von Traum, Konfusion und Fatalität." Film Noir das seien
Hinterhöfe, dunkle Gassen, schummrige Hafenbars, vertikale Linien, unförmige
Flecken, Licht und Schatten; Film Noir meine Verbrechen, Schuld und Angst; Film
Noir sei pessimistisch, zynisch, düster. In Labyrinthe in Schwarz belegt Grob
diese Charakterisierungen mit Filmbeispielen. Großstadtrepräsentation im nationalsozialistischen
Film, Stadt als Anti-Idylle im Kino der Weimarer Zeit, italienischer Experimentalfilm
der faschistischen Zeit oder ein Essay darüber, wie Fritz Lang Ordnung in den
Dschungel bringt, die verschiedenen Verarbeitungsfacetten der Großstadtproblematik
werden elf mal nachvollziehbar und teilweise sogar spannend referiert. Unglücklicherweise
entbehrt der Anhang einer Filmografie.
Dschungel Großstadt - Kino und Modernisierung Irmbert Schenk (Hrsg.) Schüren-Verlag 1999 203 Seiten. 29 DM
[kom]
Bergman
ist schnell; seine Filme kosten wenig, und die kleine Gemeinde seiner ständigen
Mitarbeiter ist in der Lage, ein absolutes Meisterwerk in der Hälfte der Zeit
und für ein Zehntel der Kosten herzustellen, die andere benötigen, um eine nutzlose
Zelluloidverschwendung zu produzieren. Außerdem schreibt er seine Drehbücher
alleine. Was könnte man mehr von ihm verlangen?", summiert Woody Allen das Schaffen
Bergmans auf. Das Filmwerk Bergmans lässt sich kaum in einem Text abhandeln
(auch nicht, wenn Woody Allen ihn geschrieben hat). Der Zugang zu seinen Filmen
ist immer ein sehr privater. So gerät jeder Satz, den man über ihn zu schreiben
versucht zu nicht mehr als einer subjektiven Sicht Ü einer Sicht auf Bilder,
die Kinogeschichte geschrieben haben. Daher scheint es nur konsequent, wenn
man ein Buchprojekt über Bergman von der anderen Seite her angeht und einfach
diejenigen sprechen lässt, die Bergman am meisten zu verdanken haben: die Epigonen,
die Schauspieler und die Filmpublizisten. Sie alle wissen, was sie den Filmen
Bergmans zu verdanken haben und finden angemessene Worte dafür. 1995 erschien
daher zunächst in amerikanischer Herausgeberschaft von Roger W. Oliver eine
Textsammlung obiger Berufsguppen, die nun in deutscher Übersetzung beim Gremese-Verlag
erschienen ist. Dort kommen keine geringeren Persönlichkeiten als Woody Allen,
Fran&ccdil;ois Truffaut, Jean-Luc Godard Ü Bergmanexegeten und Epigonen, sowie Liv
Ullmann, Max von Sydow, Bibi Andersson und andere "Bergman-Schauspieler" zu
Wort. Der ersten Teil enthält Nachdrucke von Bergmans Selbstaussagen zu seinen
Filmen und Theaterproduktionen. Im Anschluss daran finden sich Texte der o.
g. Regisseure, die würdigende Worte über Bergmans Arbeit finden und die Zeitlosigkeit
seiner Stoffe betonen. So schreibt etwa Woody Allen: "Vielleicht können ihn
andere Regisseure in bestimmten Bereichen überflügeln, aber kein anderer ist
als Künstler des Kinos so komplett." Am meisten "gelitten" unter Bergmans Visionen
(wenn man die Arbeit des "vom Versagen Besessenen", wie Erland Josephson in
beschreibt, so charakterisieren will) haben sicherlich seine Schauspieler. Eine
feste Riege, die ihn seit seinen frühesten Filmen begleitet hat und selbst in
seinen allerletzten Produktionen und Arbeiten noch mitwirkt. Ihnen gehört der
dritte Teil des Bandes. Den interessantesten Teil bilden hier zwei Mitschriften,
die in Seminaren mit Liv Ullmann und Bibi Andersson entstanden sind. In ihnen
wird klar, wie wichtig es gerade bei den Bergman'schen Dramen wie "Persona"
war, dass sich die Schauspieler soweit in ihre Rollen einfinden mussten, dass
der Begriff "Identifikation" durchaus nicht zu weit gefasst ist. So berichtet
Andersson, dass sie in der Schlussszene von Persona durchaus das Gefühl bekam,
dass "ich zu meinem Leben und zu meiner Wirklichkeit zurückkehrte, und Liv Ullmann
zu der ihren." Den umfangreichsten Teil des Buches bildet die Auseinandersetzung
mit Bergman durch Filmpublizisten (wie Mikael Timm und Caryn James), Literaten
(etwa Michale Baldwin und John Laar) und Filmwissenschaftler (z. B. Rochelle
Wright oder Maaret Koskinen). Hier werden teils einzelne Werke und Motive bei
Bergman behandelt (Maaret Koskinen schreibt einen sehr aufschlussreichen Essay
über das, was Bermans Filme so schwedisch erscheinen lässt), teils widmen sich
die Texte Bergmans Bühnen- und Autorenarbeiten. Das schöpferische Werk Bergmans
kann auch in dieser Publikation sicherlich vollständig gewürdigt werden. Der
Facettenreichtum der hier versammelten Texte ist jedoch sicherlich einer der
interessantesten Beiträge über den Jahrhundertregisseur. Der Subjektivismus
der Betrachtungen steht hier im Mittelpunkt und erklärt neben zahlreichen Details
zum künstlerischen Schaffen Bergmans auch die Popularität seiner Werke, die
sich ein wenig auf alle, die sich mit ihm schöpferisch oder interpretativ auseinandergesetzt
haben, übertragen hat.
Roger W. Oliver (Hrsg.) Ingmar Bergman. Der Film, das Theater, die Bücher Verlag Gramese. Rom 1999. 190 Seiten (Großformat, gebunden). 49,00 DM
[Stefan Höltgen]