Wenn kleine
Jungen erwachsen werden dann schrecken sie auch vor den großen Themen der Menschheit
nicht zurück bzw. erkennen, dass die Welt nicht nur aus Football oder Science
Fiction besteht. Oft reagieren die Pubertierenden in einer unterkomplexen Weltsicht
unschuldig und naiv. Betrachtet man Spielbergs filmische Reifung so dauert dessen
Adoleszenz weiter an. Die Vorwürfe insbesondere gegenüber Schindler's List (USA
1994), Amistad (USA 1997) und Saving Private Ryan (USA 1998) reichen von "Kitsch"
über "Reduktionismus" bis hin zu "reaktionär". "Der Film (Schindler's List)
erlaubt es sich aus der Verantwortung zu stehlen ohne die ethischen Konsequenzen
von Auschwitz zu implizieren.", argumentiert jedenfalls Imre Kertész. Da sich
bekanntermaßen die gehobene Kritik und das Publikumsverhalten antagonistisch
zu widersprechen scheinen, überrascht die kürzliche Wahl von Schindler's List
zum "besten Film aller Zeiten" nicht, zumal sich Camerons Titanic (USA 1997)
dahinter platzierte. Obwohl sich manche Kritiken durchaus wohlwollend gegenüber
Schindler's List zeigten, war die Skepsis nicht zu übersehen. Nun kann man geteilter
Meinung darüber sein, ob Spielberg die Historie für seinen finanziellen Erfolgsdurst
missbraucht oder ob er aus begründetem Verantwortungsbewusstsein seinen Beitrag
zur Aufarbeitung leistet. Einerseits sensibilisiert er Millionen für das Thema,
andererseits kocht er Problematiken weich bzw. vereinfacht sie in binärer Weise,
um sie verständlich, fassbar und profitabel zu machen. Am Fall Spielbergs zeigt
sich aber auch eine schleichende Enttabuisierung. Die Grenze zwischen der Unmöglichkeit
der ästhetischen Darstellung des Holocaust, die aus der Ungeheuerlichkeit des
Zivilisationsbruches erwächst und dem sich daraus ergebenden fragwürdigen Präsentationsverbot
in komisch-satirischer (Das Leben ist schön [It 1998, R: Roberto Benigni]) und
trivialisierender (Schindler's List) Form, verschwimmt im wandelnden Zeitgeist.
Das Wegsterben der belasteten Generation wird durch das Zeugnis aus zweiter
und dritter Hand ersetzt. Hier transformiert sich aus einer tabuisierten Präsenz
der Opfer eine anschlussfähige Dokumentation in musealer und künstlerischer
Form. Aus authentischen Erinnerungen werden Zeichen
und Symbole sublimiert. Spielbergs Schindler's List nutzt, um ein hohes Maß
an Authentizität zu gewinnen, Handkamera, extrem hart kopierten Schwarzweißfilm
und Originalschauplätze mit detailgetreuer Ausstattung. Die Grenzen der authentischen
Darstellung in der Totalen zwingen jedoch zum Detail. Genauer Gefragt: Wie können
die schlimmsten sich vorstellbaren Dinge überhaupt gespielt werden um echt zu
wirken? Das Abbild muss am Original scheitern, weil alles andere Blasphemie
wäre. Entweder es steht von vornherein in der entfremdeten Abstraktionsdarbietung
außer Frage oder es erfährt, wie in Schindler's List, eine veränderte Fokussierung
bzw. Systembetrachtung. Die Protagonisten Oskar Schindler (Liam Neeson), Amon
Goeth (Ralph Fiennes) und Itzhak Stern (Ben Kingsley) bilden dabei das innere
Dreieck der Dramaturgie, wobei jedem eine spezifische Rolle oder Kontaktstelle
seines Bereiches zugesprochen wird: Stern als mahnender Sprecher der Juden,
Goeth als Verkörperung des KZ-Schlächters und die Hauptfigur Schindler als agierende
Identifikationsfigur dazwischen. Diese selbstreferentielle, innere Figur bestimmt
in ihren Relationen zur Außenwelt den Gradmesser der Wirkung. Die alltäglichen
Mordserien des Kommandanten, die Flucht des Kindes in die Kotlatrine oder die
nervenaufreibenden Dialoge Goeths mit Schindler. Gezeigt wird die Wandlung des
Oskar Schindler von einem scheinbar egoistischen, trink- und weiberfesten Geschäftsmann
zu einem Menschen, der sein Leben riskiert und sein Geld opfert um 1100 Juden
zu retten. Die Konfliktlinie der Ex- und Inklusion, also der Aufnahme und Ablehnung
in die Fabrik Schindlers, wird zwar thematisiert, aber ausnahmslos mit Inklusion
beantwortet. An dieser Systemgrenze der schützenden Organisation zeigt sich
die oben erwähnte Differenz von Detail und Totale. Die Masse in der Totalen
wird nicht identifikatorisch präsentiert. Sie darf deshalb sterben bzw. getötet
werden. Das heißt nicht, dass sich der Akt des Tötens ausnahmslos in der Totalen
präsentiert, dafür wird die Detailansicht schon benötigt; aber der Ursprung
kommt entweder von außen oder führt über den Lagerkommandanten in das Anonyme
der Geschichte. Mit anderen Worten: Der innere Kreis der Protagonisten bleibt
unberührt. Selbst die Hinrichtung Goeths erfolgt in der Totalen, denn im letzten
Teil der Geschichte spielt der Lagerkommandant für die innere Narration keine
Rolle mehr. Die Logik für den Film ergibt sich aus dem finalen Wissen des Zuschauers.
Die Überdeterminiertheit, die das Thema bietet, sorgt dafür, dass Spielberg
das Grauen im Innern nicht zu berücksichtigen braucht. Hier verhilft er dem
Rezipienten zu einem sicheren Hort und erreicht so die Masse seiner Zuschauer.
In dem künstlich geschaffenen Raum können so der Held Schindler, sein Gewissen
Stern und das Grauen Goeth zusammen agieren. Das entscheidende an der Konstellation
ist die Wirkung auf den Zuschauer. Sobald dieser innere Raum erreicht wird findet
eine psychische Entlastung statt. Die Folge davon ist, dass jedes unschuldige
Opfer weitestgehend anonym bleiben muss, um den Zuschauer nicht noch mehr zu
belasten. Das ist der Preis, den Spielberg bereit ist zu zahlen. Der aufklärerische
Gedanke, den Spielberg mit seiner Shoah-Foundation beabsichtigt, wird durch
seinen eigenen Film in Frage gestellt. Zumindest zeigt es das allgemeine Dilemma
der direkten Zeugenschaft. "Das Wesen der Auslöschung ist identisch mit der
Auslöschung der Zeugen" (Sigrid Lange). Die Vorstellung des Nichtvorstellbaren
ersetzt die Zeugen. Jeder, der diese äußert, ist gezwungen, das Ereignis zu
belegen. Schindler's List benutzt zur Evidenz die ästhetisch-historische Codierung
(Schwarzweißfilm, Handkamera), ehemals authentische Personen und Originalschauplätze.
Alle zusammen bilden die Grundlage für die Analogie zur Histrorie. Aus der Geschichte
des Films findet sich so der kausale Anschluss zum vorhandenen Wissen des Zuschauers.
Die Illusion ist dem Meister der Illusion geglückt, insofern ist der Vergleich
mit Jurassic Park (1993) gerechtfertigt. Was bleibt, ist ein äußerst fader Beigeschmack.
Ein Film, der kaum Fragen und Folgen generiert, bei dem der Zuschauer sich ohne
weiteres hinter der Hauptfigur verstecken kann und aus dem das Ideal des Humanen
unbeschadet hervorgeht, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, fahrlässig und
reduktionistisch zu operieren. Die Stärken liegen ohne Zweifel in dem engsten
Kreis um den Protagonisten Schindler herum, denn hier auf der zwischenmenschlichen
Ebene entwickelt sich, dank der überzeugenden Darsteller, ein beachtliches Spannungsfeld,
dazu trägt auch die Größe der Staffage bei. Spielberg ist Profi genug um seine
eigenen Grenzen und die seines Publikums zu kennen. Er ist kein Mann für tiefgreifende
Systemzusammenhänge, eher ein begnadeter Träumer und Geschichtenerzähler auf
engstem Terrain. Die Frage nach dem Anspruch war ihm nie die wichtigste, dafür
ist und bleibt er dem amerikanischen Traum zu sehr verpflichtet. Ob er auf wirkliche
Ursachensuche gegangen ist darf bezweifelt werden. Auch der Shoah-Foundation
wird nicht gerade Wissenschaftlichkeit nachgesagt. An sich nichts Verwerfliches,
aber angesichts der Thematik bedarf es mehr als nur moralischer Appelle. Ohnehin
scheint die Moral beim Aufarbeiten des Holocausts die größte Barriere darzustellen.
Ist sie doch für alle Kriege, auch nach Auschwitz, verantwortlich. Niklas Luhmann
formulierte es treffend: "Vor Moral ist zu warnen auch wenn dieser Satz moralisch
ist."
[TR]