Wer sich Ärger einhandeln möchte, sollte über Leni Riefenstahl
schreiben. Bezeichnender Anfang aus dem Begleitband zur Ausstellung über
Leben und Werk Leni Riefenstahls, die bis Ende Februar im Potsdamer Filmmuseum
zu sehen war. An dem Namen Leni Riefenstahl erhitzten und erhitzen sich Gemüter.
Oft war und ist die Debatte über sie emotional durchtränkt, was den
neutralen Zugang erschwert. Nach wie vor stehen ihre Nazi-Propagandafilme auf
dem Index und dürfen nur in geschlossenen Veranstaltungen in Verbindung
mit einem Einführungsvortrag (laut Bestimmung der Siegermächte) gezeigt
werden. Folglich wird den Filmen immer noch eine demagogische Wirkung attes-tiert.
Wer sie kennt, weiß aus welchen Banalitäten sie zum Teil bestehen.
Tragen die Verbote nicht zur Legendenbildung bei und wird damit nicht genau
das Gegenteil erreicht? Die Nützlichkeit solcher Verbote steht hier zur
Debatte. Ohne genaue Kenntnis und freien Zugang wird die sachliche Diskussion
behindert. Und ist, wie in dem Begleitband argumentiert wird, nicht ein neue
Generation mit anderer Geschichte und Wahrnehmung herangewachsen? Längst
verfügt die rechte Szene durch illegale Videokopien aus dem Ausland über
die Filme. Das Argument, dass mit kommentarloser Ausstrahlung der rechte Rand
verstärkten Zulauf erhält, muss gerade im Zeitalter der Informationsflut
und im Anspruch einer pluralistisch-mündigen Gesellschaft neu überdacht
werden.
Die bundesweit
erste(!) Ausstellung über Leben und Werk Leni Riefenstahls verfolgte den
Anspruch einer bewertungsfreien Dokumentation. Und wenn man die Presse im Vorfeld
betrachtet, in der den Ausstellungsmachern fehlende Auseinandersetzung mit Riefenstahl
vorgeworfen wurde, so scheint ihr das gelungen zu sein. Grund genug, sich davon
ein persönliches Bild zu machen.
Die große Zahl der Interessenten, verfolgt von der gleichen Idee sich
ins Filmmuseum zu bewegen, erwies sich jedoch als erhebliches Hindernis, so
dass es einige Mühe bereitete, sich den Schaukästen, den Monitoren
und den Büchern zu nähern. Nichtsdestotrotz hinterließ die Ausstellung
Eindrücke. Die U-förmig angelegte Ausstellungsfläche umfasste
ca. 1000 Quadratmeter. Die mit Zeittafeln bestückten Außenwände
wurden von Kästen mit Leihgaben aus dem Besitz Riefenstahls ergänzt.
Im Innern befanden sich Monitore, auf denen alle Filme (bis auf die Propagandafilme)
Riefenstahls, einschließlich des Porträtfilms Die Macht der Bilder
von Ray Müller und dem Rammstein Videoclip Stripped mit Szenen aus den
Olympiafilmen, gezeigt wurden. Die Nuba- und Unterwasserbilder in Großformat
bildeten den Abschluss. Die ausgestellten Bücher und Artikel über
Riefenstahl sollten sich hierbei als die interessantesten Momente erweisen.
Leider wirkte sich gerade hier der Massenansturm am Nachteiligsten aus. Unabhängig
davon bot die Ausstellung einen tieferen Einblick in die Thematik Riefenstahl,
insbesondere für Neueinsteiger.
Hauptkritikpunkt ist die Präsentation der Filme. Monitore in der Größe
eines PC-Schirms vermitteln die Riefenstahl-Ästhetik nur schwer. Und so,
vielleicht ungewollt, bleiben die großformatigen Nubabilder eher im visuellen
Gedächtnis als die Olympiafilme oder die Propagandafilme. Auffällig
war auch die Tatsache, dass der einzige Film, der in einem geschlossenen, abgedunkelten
Raum präsentiert wurde, der von Ray Müller war. Einschränkend
muss aber erwähnt werden, dass im Begleitprogramm zu der Ausstellung ein
Großteil der Filme Riefenstahls gezeigt wurde. Schwer zu bewältigen
für eine Tagesreise.
Einen detaillierten Einblick in Riefenstahls Werk liefert der Begleitband zur
Ausstellung. Im Nachhinein beweist er sich als gute Einstiegslektüre in
das Thema. In Aufsätzen beleuchten sechs Autoren Leben und Werk Leni Riefenstahls
und gehen unter anderem folgenden Fragen nach: Wie konnte sie zur maßgeblichen
Produzentin der unheilvollen Bilder werden, die ein ganzes Volk vor und nach
1945 prägten? Warum fällt so oft der Name Riefenstahl und Eisenstein
(im Freudschen Versprecher auch Riefenstein) in einem
Atemzug? Welche zeitgeschichtlichen Unterschiede trennt und verbindet die Diktaturen
des Nationalsozialismus und des Stalinismus, wie wirkt sich dies im Schaffen
der beiden aus und worin liegen die Unterschiede? Warum braucht die Riefenstahl
über 10 Jahre, um einen Fotoband über Die Nuba von Masakin
zu veröffentlichen und dann nur 6 Wochen für den zweiten Band Die
Nuba von Kau? Für den ersten benutzte sie Brennweiten von 21 bis
135 mm, für den zweiten von 180 bis 560 mm. Warum geben solche Details,
die sie dann bewusst oder unbewusst verklärt, Aufschluss über Riefenstahls
Dilemma? Ist Leni Riefenstahl nicht eine der ersten der Popkultur (liegen doch
ihre Arbeiten im Bilder-Pool, an denen sich Künstler bedient haben und
weiter bedienen werden)? Und ist sie nicht die Wegbereiterin der Werbefotografie
und des Werbefilms, sie, die gerade in Amerika hohes Ansehen genießt und
durch ihre Willensstärke und ihre Durchsetzungsfähigkeit dem American
Way of Life (You can make it if you really want) voll entspricht?
Ein zwiespältiges Gefühl verbreitet sich nach dem Rundgang. Erschrocken
vielleicht mehr vor sich selbst, wie dicht Tiefe und Untiefe nebeneinander liegen.
Beeindruckt und entsetzt von der Kraft und dem Abgrund. Bei näherem Betrachten
und einer intensiven Auseinandersetzung offenbaren sich einfache Mechanismen
der Wahrnehmung, die sich an der Oberfläche ohne Tiefenschärfe bewegen.
Es ist eine geschichtliche Tatsache, dass die Filme Triumph des Willens und
Olympia emotionale Grundbindungen an den faschistischen Staat schufen, da es
Bilder und Vorlagen waren, an denen sich die Bevölkerung orientierte. Ikonenhafte,
religiöse und realitätsferne Götzenbilder. Es wäre heuchlerisch,
Riefenstahl als Einzelperson Verblendung und Verfehlung vorzuwerfen und sie
als Projektionsfläche zu benutzen, wo sie sich doch in keiner Weise von
dem Großteil ihrer damaligen Landsleute unterschied. Ist sie nicht eine
Traumfrau der Leistungsgesellschaft? Die Werbung weist gleichzeitig das
Widersinnige in der Annahme einer typischen Riefenstahl-Ästhetik nach,
stellt Ines Walk treffend fest. Also dem Verweilen an der Oberfläche mit
dem einfachen Ziel der Vermarktung eines Produktes. Adorno beschreibt dies in
seiner Negativen Dialektik wie folgt: Das interesselose Wohlgefallen
der Ästhetik verklärt den Geist und erniedrigt ihn, indem es sich
daran genug sein läßt, zu betrachten, zu bewundern, am Ende blind
und beziehungslos zu verehren, was da einmal alles geschafft und gedacht wurde,
ohne Rücksicht auf dessen Wahrheitsgehalt.
[TR]