Doris
Dörrie wurde zum Inbegriff des Erfolgskinos der 80er Jahre. Ihr Film Männer
(1985) wurde zum Vorreiter der deutschen Beziehungskomödien und schaffte es,
noch vor allen Hollywoodproduktionen der erfolgreichste Film des Jahres zu werden.
Auch die nachfolgenden Filme Ich und Er (1987, allerdings in Amerika produziert)
und Geld (1989) waren Publikumsmagneten. Die Presse reagierte jedoch gespalten.
Einerseits wurde Dörrie zum Phänomen stilisiert und als die starke, von Amerika
beeinflußte Filmfrau gehandelt (u.a. war sie auf der Titelseite des Spiegel
zu sehen), andererseits geriet sie, scheinbar gerade wegen ihres Erfolges, in
die Kritik. Sie selbst meinte einmal in einem Interview, dass es in Deutschland
zwei Sünden gäbe, "die man begehen kann, wenn man irgendwie 'Kultur macht'.
Die eine Sünde ist, unterhaltsam zu sein, und die zweite Sünde ist, Erfolg zu
haben." Nun ist das sicher nicht ganz abwegig. Filme, die an der Kinokasse große
Gewinne einbringen, werden von der (anspruchsvollen) Filmkritik nicht unbedingt
hochgelobt. Allerdings sollten Filme nicht von vornherein suspekt sein, weil
sie 'erfolgreich' sind. Oft (und leider) besteht zwar tatsächlich ein direkter
Zusammenhang zwischen nur vordergründiger Unterhaltung und Erfolg beim Publikum.
Es steht allerdings außer Frage, dass auch Filme, die 'unterhaltsam' sind, gut
gemacht und anspruchsvoll sein können. Humor ist schließlich nicht gleich Humor.
Betrachtet man die 'Erfolgsfilme' Doris Dörries aus den 80er Jahren, (Männer,
1985; Ich und Er, 1987; Geld, 1989) so fällt auf, dass diese sich ausnahmslos
dem Genre der Komödie zuordnen lassen. Die Einsprengsel bitterer und nachdenklicher
Momente, die durchaus vorhanden sind, reichten hier nicht aus, einen anderen
Eindruck als den des komischen bei den Zuschauern zu hinterlassen. Die Vermarktung
tat ein Übriges, so dass z.B. Geld heute als "Angriff auf die Lachmuskeln" im
Videoregal eingeordnet. Gleichzeitig liest man im CineGraph Lexikon, Doris Dörrie
sei mit diesem Film "auf einem Tiefpunkt ihrer Karriere" angelangt. Gerade in
diesen beiden Kommentaren zum selben Film zeigt sich die angesprochene ambivalente
Einstellung zur Regisseurin. Dabei vergißt man oft die ebenfalls in den 80er
Jahren entstandenen Filme Mitten ins Herz (1983), Im Innern des Wals (1985)
und Paradies (1986), sowie den 1992 entstandenen, auf Geld folgenden Film Happy
Birthday, Türke!. Sie waren weniger 'erfolgreich' und erregten geringere Aufmerksamkeit,
lohnen allerdings eine genauere Betrachtung. Aus ihrer Kenntnis und der Hinzunahme
späterer Dörrie-Filme, kann man durchaus ableiten, dass Dörries 'erfolgreiche'
Komödien nur einen (vermutlich kleinen) Aspekt ihres Filmschaffens darstellen.
Allen drei neben den 'Erfolgsfilmen' gedrehten Streifen der 80er ist gemeinsam,
dass in ihnen der komödiantische Zug schon nach kurzer Zeit umkippt und die
tragischen und melancholischen Elemente überwiegen. Mitten ins Herz (1983) erzählt
von der Bekanntschaft der jungen Anna Blume (!) und einem Zahnarzt, der von
ihr nichts weiter erwartet, als dass sie mit in seinem Haus wohnt, auf keinen
Fall aber eine Liebesbeziehung. Sie verliebt sich natürlich trotzdem in ihn,
täuscht eine Schwangerschaft vor, entführt ein Kind und erschießt schließlich
den Mann, als er von der Entführung erfährt. Ebenfalls tragisch geht es in Paradies
(1986) zu, wo eine leidenschaftslose Ehe aufgefrischt werden soll, indem man
eine alte Jugendfreundin ins Haus holt und damit eine Katastrophe im Gefühlsleben
aller auslöst. Die Handlung steigert sich ins Groteske, je mehr die Figuren
dem Wahnsinn verfallen, und endet mit dem gewaltsamen Tod der Jugendfreundin.
Und auch in Im Innern des Wals (1985) stirbt jemand, wenngleich die Grundstimmung
dieses Films eine eher melancholische ist. Als Road Movie angelegt, erzählt
der Film die Geschichte der 15jährigen Carla, die sich nach einem Streit mit
dem Vater auf die Suche nach der vor Jahren davongelaufenen Mutter macht und
dabei eine Odyssee durch Schleswig-Holstein erlebt. Kurz vor ihrer Heimkehr
jedoch ereignet sich zwischen Vater und Mutter eine tödliche Tragödie, die den
streckenweise humorvoll spannenden Verlauf der Handlung kippen läßt. Parallel
zu ihrem Filmschaffen etablierte sich Doris Dörrie in den 80ern auch als Schriftstellerin.
Kurz nach Paradies, kam 1987 das erste Buch von ihr heraus (abgesehen vom Drehbuch
zu Paradies, das 1986 erschien). "Liebe Schmerz und das ganze verdammte Zeug"
beinhaltet vier Geschichten und der 1989 erschienene Band "Was wollen Sie von
mir?" besteht aus 16 Kurzgeschichten und Erzählungen. Während die Geschichten
aus "Liebe Schmerz ..." noch eindeutig bestimmten Filmen zuzuordnen sind, kann
man in "Was wollen Sie von mir?" den Loslösungsprozess nachvollziehen, der sich
abspielt vom Filmgeschichten veröffentlichen hin zum Schreiben von eigenständigen
Erzählungen. Wenn man allerdings vermutet, "Liebe Schmerz" wäre eine Art 'Buch
zum Film', irrt man. Denn der Entstehungsprozess der Filme beginnt bei Dörrie
nicht unbedingt mit dem Drehbuch, sondern üblicherweise mit einer Kurzgeschichte.
Erst nach und nach entstanden auf diesem Weg Kurzgeschichten auch unabhängig
von Filmgeschichten. Das erste Ergebnis dieses Prozesses ist der Band "Was wollen
Sie von mir?" Zwar stößt man häufig auf Parallelen zwischen Buch- und Filmfiguren
und auch ganze Kurzgeschichten erscheinen als Episoden in Dörries Filmen, aber
die Art des Erzählens und die Form weisen Variationen auf. Dörrie selbst definiert
den Unterschied zwischen Drehbuch- und Prosaschreiben, indem sie auf die strikten
Regeln beim Drehbuchschreiben hinweist, die den Autor in
gewisser
Weise einschränken, während "die Bewegung, die innere Bewegung auch der Figuren
in der Prosa sehr viel größer ist und sehr viel freier". Interessanterweise
scheinen die genannten Filme mit tragischem bzw. melancholischem Unterton, Dörries
Kurzgeschichten näher zu stehen als es bei den Komödien Männer, Ich und Er und
Geld der Fall ist. Dörries Erzählungen in "Was wollen Sie von mir?", aber auch
in späteren Bänden wie "Bin ich schön" (1994) und "Samsara" (1996) sind selten
nur komisch oder heiter. Vielmehr überwiegen auch hier groteske und tragische
Momente, eingebunden in eine reichlich ironische Erzählweise, die wie in den
Filmen dicht an den Figuren und ihren Beziehungen zueinander bleibt. Im Gegensatz
jedoch zu den mehr ereignisorientierten Filmen, passiert in den Kurzgeschichten
nicht unbedingt immer etwas bemerkenswertes. Oft drehen sich die Geschichten
'nur' um Gespräche und Gedanken weniger Personen innerhalb eines kurzen Zeitraums.
Aber die Form des Erzählens ist filmisch, in dem Sinn, dass sich die beschriebenen
Szenen statt auf dem Papier auch auf der Leinwand abspielen könnten. "Kino im
Kopf" wie ein Kritiker einmal bemerkte.
[NS]