Blickt man zurück auf die Filmlandschaft der vergangenen
zwei, drei Jahre, ist zweifelsfrei die Nachfrage für asiatische Produktionen
heftig gestiegen. Die noch recht kleine Filmgemeinschaft, mit wachsenden Ambitionen
auf dem globalen Filmmarkt, verbindet man mit Namen wie z. B. Wong Kar-Wai,
Takashi Ishii, Maggie Cheung und Takeshi Kitano. Sie alle treten das von Traditionen
und Paradigmen belastete Erbe der asiatischen Filmväter (Kurosawa, Ozu,
Oshima) an.
Es bedurfte zuerst Erfolge auf renommierten Filmfestivals, bis die europäischen
Verleiher aufmerksam wurden und Produktionen von Kitano oder Kar-wai in ihre
Programme aufnahmen. So gewann Kitanos siebter Film Hanna-Bi 1997
in Venedig den Goldenen Löwen und ein Jahr später brachte
der Münchener Verleih Rapid Eye Movies Kitanos erstes Regiewerk Violent
Cop in die Kinos.
Der 52-jährige
Kitano ist ein Phänomen in der Medienlandschaft Japans. Bis 1998 war er
in eigenen Fernsehshows zu sehen, schrieb für bedeutende Tageszeitungen
und Magazine Kolumnen über Politik und Wirtschaft. Außerdem hatte
er von 1981 bis 1990 eine Radio-show namens All Night Japan, in der er einige
seiner berühmtesten Bonmots von sich gab, wie etwa: Das war's, liebe
Kinder, und vergeßt nicht, vor dem Schlafengehen eure Eltern zu erwürgen.
Sein Roman Kyoso tanjo/Many Happy Returns (1994) wurde mit ihm selbst in einer
Hauptrolle von seinem ehe-maligen Regieassistenten Toshihiro Tenma verfilmt.
Die bevorzugten Plots in den Filmen Kitanos sind Yakuza-Erzäh-lungen (die
japanische Mafiavariante). Die japanischen Gangsterfilme bedienen sich eines
Arsenals von Genre-Elementen, das umfassender ist als alles, was wir von westlichen
Entsprechungen kennen. Yakuzafilme sind Verknüpfungen aus Bandenjargon,
ausgefeilter Körpersprache, obskuren Codes, komplizierten Riten und einer
differenzierten Ikonografie der Kostüme und Tattoos. Es kann vorkommen,
dass ein ganzer Film nur aus einer Aneinanderreihung dieser Versatzstücke
besteht. Das Sehen - als Sinnpro-duktions- und Wahrnehmungsprozess - bekommt
in den Filmen Kitanos eine besondere Rolle zugespro-chen. Die Geschichte wird
vorrangig in Bildern erzählt, die Sprache (der Ton) steht somit im Hintergrund.
Diese Methode der Bilder-sprache erzeugt die individuelle Charakteristik
seiner Filme, da die Spannungsdramaturgie gesteigert wird. Der Zuschauer muss
die von der Montage determinierten gesetzten lacks (Lücken zwischen den
Bildern) selbst mit Informationen bzw. Interpretationen füllen. Der Film
wird dadurch inhaltlich reichhaltiger und der Rezeptionsprozess dynamischer
bzw. aktiver.
Einfach nur schauen ist bei Kitano eine Vorstufe des Zuschlagens,
eine definitive erste Aggres-sion. Im Trailer zu Violent Cop (1989) blickt Kitano
- in einer Einstellung, die in dem beworbenen Film selbst gar nicht auftaucht
starr ins Objektiv, in irgendeiner tristen Umkleidekabine. Die Zigarette
hängt ihm lose aus dem Mund, seine Arme ragen seltsam angespannt vom Körper
weg. Eine Frauenstimme spricht ihn aus dem Off, mit Takeshi-san
an und fragt ihn höflich, was er unter dem Begriff gefährliche
Waffen denn genau verstehe. Als könnte schon darin eine Art Erklärung
liegen, zieht Kitano seinen Revolver und richtet ihn gegen den Zuschauer, noch
immer in die Kamera starrend. Die Blicklust und die Zerstörungswut ergänzen
sich gegen-seitig in den Filmen Kitanos. Das ist konsequent, denn das Genre
des Kunst-Thrillers, das er seit einem knappen Jahrzehnt in den meisten seiner
Arbeiten (zunehmend stilisiert) bedient, ist zuschauerseits geprägt vom
Wunsch, aus sicherer Distanz an der kriminellen Vernichtung teilzuhaben.
Kitano zeigt die Brutalität der Yakuza-Gangster nicht in fließenden,
laufenden Bildern, sondern montiert Einstellungen kurz hintereinander, so dass
daraus eine Symbolik entsteht. In Sonatine (1993) und Hana-Bi
wird ein Kopfschuss, den Kitano einem Gegner verabreicht, zuerst mit der Einstellung
eines winzigen Lochs in der Stirn gezeigt. Danach sieht man in Zeitlupe fließende
rote Rinnsale, bevor der Körper aus dem Bildrahmen kippt. Die durch Kitanos
Schnitt entstehende Sprache, soll die filmische Gewalt organisieren und nicht
mit den Gewaltverhältnissen der natürlichen Umgebung in Verbindung
gebracht werden; sie soll eine eigene Filmwirklichkeit vermitteln. Was Kitanos
Menschen antreibt, bleibt meist Interpretationssache und liegt im Auge des Betrachters.
Das erklärte Ziel des japanischen Clint Eastwood (bezogen auf
dessen Dirty Harry Calahan) ist es einmal einen Film zu drehen, in dem er die
Zuschauer nur durch die Bilder auf der Leinwand zum Weinen bringt. Er geht also
den Weg zurück zum Stummfilm, ähnlich wie Kaurismäki im vergangenen
Jahr.
[MG]