Wer schon einmal einen Pornofilm gesehen hat, wird sich sicherlich
fragen, wozu es einer Definition des Offensichtlichen bedarf, das ihn da angeflimmert
hat. Das Problem besteht jedoch nicht inmitten der ineinander verkeilten Filmkörper,
sondern an der Stelle, wo Pornografie in Erotik-, Sex- oder andere Filme übergeht.
Wollte man sich - wie hier geplant - mit der öffentlichen Einstellung gegenüber
der Pornografie beschäftigen, wäre die Frage "Was ist kein Pornofilm?"
sicherlich angemessener. Aber das macht sich nicht so gut in einer Überschrift.
Alle, die noch nicht das Vergnügen hatten, "das Tier mit den zwei
Rücken" im Film gesehen zu haben, sind aufgefordert, an dieser Stelle
zu reflektieren, was sie bisher davon abgehalten hat. Denn ich will weniger
umreißen, was einen Pornofilm zu einem solchen macht, als den diskursiven
Hintergrund klären, auf dem bislang versucht wurde, Pornografie abzugrenzen
- um zu moralisieren, sie damit zu verbieten und zu stigmatisieren. Die Pornoprukduktion
hat sich dabei aber durchaus nicht zurückgehalten. So könnte man die
Intention des Genres darin sehen, zu provozieren und die Gesellschaft mit ihren
überkommenen Moralvorstellungen zu konfrontieren. Die Geschichte der Pornografie
ist ein Stellungskrieg an den Grenzen des Geschmacks.
1. Juristische Versuche
Das Gesetz
regelt den Umgang mit der Sexualität in den Medien im Strafgesetzbuch.
Dort findet sich unter § 184 die Anleitung, wie mit Pornografen umzugehen
sei und was noch erlaubt und was schon verboten (Sex mit Tieren, Kindern, Gewalt)
ist. Eine Definition hingegen sucht man dort vergebens. Die ist Sache der Kommentare.
Das Gesetz selbst, so liest man beim Kölner Rechtswissenschaftler Thomas
Weigand, "nimmt kaum staatliche Finanzmittel in Anspruch und ist dennoch
zur Besänftigung öffentlicher Erregung bestens geeignet." Das
klingt zunächst so, als ginge es lediglich darum, ein paar aufgebrachte
Moralapostel zu beruhigen. Dass dem aber nicht so ist, zeigen eben jene Versuche
- im Kommentar zum § 184 - Pornografie zu definieren.
Der sogenannte "Leipziger Kommentar" zum Strafgesetzbuch gewährt
einen guten Einblick in die rechtliche Debatte: "Indizien für das
Vorliegen von Pornografie (im Sinne des Abs. 1 bis 3 § 184) können
sein: Der Verfall in die Sinnlichkeit, die Zunahmen der Frequenz der sexuellen
Betätigung und parallel dazu die abnehmende Satisfaktion, Promiskuität
und Anonymität, der Ausbau der Phantasie von Praktiken der Betätigung,
Süchtigkeit und dranghafte Unruhe, Darstellungen, in denen eine Frau zur
Ware und zum reinen Lustobjekt erniedrigt wird, Handlungen wie von Maschinen,
deren Teile auswechselbar sind, Exhibitionismus in Wort und Bild, Isolierung
der Sexualität vom Humanen, Lustgewinn ohne Schicksal und Liebe. Bei längerem
Text oder zusammenhängendem Bildmaterial [also auch Filmen, S.H.] kommt
es auf die Gesamttendenz an. Einzelne, für sich gesehen pornographische
Teile, können durch andere so überlagert sein, daß insgesamt
der pornographische Charakter verloren geht."
Diese Aufzählung zeigt zweierlei: Erstens: welche moralischen Vorstellungen
von Liebe, Sexualität und Körperlichkeit die Verfasser haben; und
zweitens: wie relativ solche Auffassungen sind, das heißt, wie sie je
nach Sozialisation, Problembewusstsein und Erfahrung schwanken können.
Das könnte daran liegen, dass man sich mit einer vorgefassten Meinung,
wie Sexualität, Liebe und Körper in der Kunst zu repräsentieren
sei, an einen Tisch gesetzt und darauf basierend obige Richtlinien verfasst
hat. Oftmals dienen solche Definitionen dazu, Kunst und Pornografie klar von
einander abzugrenzen und damit nach Möglichkeit auch noch zu definieren,
was Kunst ist.
Ein solches Vorgehen ist ideologisch. Die Frage allein, ob Pornografie gesetzlich
oder moralisch zu fassen sei, belegt dies. Zensurierung - die ja im besten (schlimmsten!)
Fall das Ergebnis solcher Bemühungen sein soll - ist das Ziel, auf das
diese Bemühungen hinauslaufen. Der Jugendschutz wird interessanterweise
nur noch an einer Stelle im Kommentar erwähnt: "Der Leitgedanke muß
eine mögliche Gefährdung des Jugendschutzes [nicht des Jugendlichen!
S.H.] bleiben, der regelmäßig lanciert ist, wenn Sexualität
ohne jede gedankliche, insbesondere künstlerische Verarbeitung zu ihrem
Selbstzweck erhoben wird."
2. IdeologInnen
Vorweg: Die Vermutungen der Gesetzeshüter haben eines mit denen vieler
Frauenrechtler gemein: Sie entwickeln nicht das geringste ästhetische Verständnis,
geschweige denn suchen sie überhaupt danach. Der Verdacht liegt nahe, dass
ein solches Verständnis - würde es sich einmal entwickeln - den Zielen
entgegenlaufen könnte, nämlich festzustellen, dass Pornografie ein
Genre ist, dessen Einzelbeiträge (nicht nur ästhetisch) genauso gut
und genauso schlecht sein können, wie z. B. die des Westerns oder Dokumentarfilms
auch.
Auch innerhalb der feministischen Pornografie-Debatte, die aus den USA zu uns
dringt (der Suhrkamp Verlag bietet einige Veröffentlichungen zu "Pornografie
und Gender Studies), spielen ideologische Kriterien eine große Rolle,
wenn es darum geht, Pornografie zu definieren. Neben allen psychoanalytischen
Betrachtungen zum Thema - zur Interpretation des "männlichen Blicks",
der besonders bei der Pornografie akut sein soll - schließen die amerikanischen
Feministen eine eigenartige Allianz mit den konservativen Richtern (Stichwort:
Texas) und sogar den Rechtsradikalen, wenn es allen darum geht, Pornografie
kosteeswaseswolle zu verbieten. MacKinnon schreibt hierzu: Was einst Worte
und Bilder waren, wird durch Masturbation selbst Sexualität. Während
sich die Industrie ausbreitet, wird dies mehr und mehr die Erfahrung von Sexualität
an sich, die Frau in Pornographie mehr und mehr zum lebenden Archetypus der
Frau in der Erfahrung von Männern, daher auch der von Frauen [...], während
Bilder und Worte zu der Form des Besitzes und des Gebrauchs werden. In Pornographie
sind Bilder und Worte Sexualität. Zur gleichen Zeit, in der Welt, die Pornographie
erschafft, ist Sexualität Bilder und Worte. So wie Sexualität Rede
wird, wird Rede Sexualität. (Nur Worte, S. 26 f.)
Hinter solchen Analysen steht der Versuch, Pornografie (ein durchaus weitgefasster
Begriff, zu dem bei MacKinnon auch "Basic Instincts" und die barbusige
Reklamefrau zählen) als "Handlung" (action) und nicht als "Meinung"
(speech) zu charakterisieren. Letztere steht in den USA eindeutig unter dem
Schutz der freien Meinungsäußerung. Wäre Pornografie aber eine
"Handlung" des Pornografen, so könnte sie mit allen gängigen
Sanktionen amerikanischer Rechtssprechung belegt werden. Das beginnt beim Vorwurf
der Vergewaltigung, der auf die Aussagen einer Darstellerin zu stützen
wäre, reicht über Nötigung, ständig mit einem sexuellen
Klischee von sich konfrontiert zu werden, welches als Maß aller Dinge
gelten soll und endet bei der Prostitution, denn jede Darstellerin (und einzig
um die geht es bei der Debatte) wird für ihre Dienste im Film bezahlt -
und das nicht schlecht!
Dieser Streit ist noch nicht ausgefochten, was natürlich daran liegt, dass
wiederum keinerlei Definition vorliegt, was denn als Pornografie zu verurteilen
sei (den vorgeschlagenen Rahmen, den ich oben skizziert habe, will man ob seiner
Weitläufigkeit dann wohl doch nicht komplett sanktionieren). Und gibt es
auch wirklich bemühte Versuche, so werden doch auch bei den Feministen
diejenigen gehört, die am lautesten schreien. Weil das häufig die
sind, die wenig Ernsthaftes zu sagen haben, verliert die liberale Bewegung -
auf die sich der Feminismus eigentlich stützt - ein weiteres Standbein
der Glaubwürdigkeit an Ideologie und political correctness.
3. Wo bleibt da die Ästhetik?
Die Reaktion auf Pornografie
seitens der Gegener (aber auch die Gegenreaktion der Befürworter) erwächst
aus dem Ungleichgewicht von Macht, Gegenmacht und Ohnmacht.
Dass Sexualität und Pornografie längst nicht mehr allein als anarchisches
Gegenkonzept zu Bürgerlichkeit und Moral angesehen werden können,
wissen wir seit Michel Foucault: Fortpflanzung der Sexualität durch
Ausdehnung der Macht; Steigerung der Macht, der jede dieser regionalen Sexualitäten
eine Angriffsfläche liefert; seit dem 19. Jahrhundert wird diese Verkettung
von unabsehbaren ökonomischen Profiten gesichert, die dank der Vermittlung
von Medizin, Psychiatrie, Prostitution und Pornographie sich gleichzeitig aus
der analytischen Vermehrung der Lust und einer Steigerung der sie kontrollierenden
Macht ableiten lassen. Lust und Macht heben sich nicht auf, noch wenden sie
sich gegeneinander, sondern übergreifen einander, verfolgen und treiben
sich an. (Sexualität und Wahrheit Bd.1: Der Wille zum Wissen, S.
64 f.)
So zeigt sich also, dass sich Staat, Feminismus und andere
Gegner der Pornografie eigentlich gar nicht mit der Pornografie selbst beschäftigen
(wollen), sondern mit der Macht ihrer Restriktion. Die Antwort auf die Frage,
wer Recht hat, entscheidet darüber, was gesehen werden darf.
Die Ästhetik der Pornografie, die doch so durchschaubar ist und in ihrem
Erscheinen soviel Ähnlichkeiten zu der anderer Genres hat (ihr Anspruch
auf das Authentische wie im Dokumentarfilm, ihre Serialität der Nummern
wie im Musical, ...), könnte vielleicht allen Diskussionsteilnehmern einen
objektiven Ansatz geben. Denn nur mit objektiven Maßstäben ist die
Diskussion über den Verdacht erhaben, ideologisch zu sein.
Zu den Sachen selbst. Diese Husserlsche Weisheit hilft auch bei
unserem Tier mit den zwei Rücken (so ein Buchtitel von Roger
Willemsen). In der direkten Auseinandersetzung mit der Pornografie in allen
ihren Erscheinungsformen liegt die Basis für ihr in jeder hinsicht anstachelndes
Potential. Darum, liebe noch unbefleckten Leserinnen und Leser: Wer sich mit
Pornografie auseinandersetzen will, sollte zuerst einmal Pornografie rezipieren
und sich eine eigene Meinung bilden. Im Zeitalter totaler (und freier) Meinungsheterogenität
könnte das dazu führen, ein eigenes Urteil zu finden.
[Stefan Höltgen]