Zunächst: Das bemerkenswerteste an allen drei Weltuntergangsfilmen
ist, dass die Welt gar nicht untergeht. Angesichts der Bedrohung versagen zwar
die etablierten Strukturen zunächst aber anscheinend nur um das Prickeln
auf der Haut zu erhöhen, ganz im Dienst der Unterhaltung. Denn in Wirklichkeit
folgen alle drei Filme eher der Erzählstruktur eines Märchens - inklusive
Moralteil - als eines realistischen Szenarios für den Tag X. Dies ist leicht
daran zu erkennen, dass die Katastrophe nie als Folge menschlichen Handelns
oder Versagens eintritt. Sie entwickelt sich nicht dort, wo Wissenschaftler
regelmäßig händeringend Handlungsbedarf signalisieren, zum Beispiel
beim weltweiten Potential an Atomwaffen.
Die Bedrohung in allen drei Filmen ist niemals durch den Menschen oder die Technik
auch nur mitverursacht. Das würde nur die Trennlinie zwischen Gut und Böse
verwischen und die Unschuld der Menschheit in Frage stellen. Eine Unschuld,
die vorhanden sein muss, denn wie würde sich sonst unser aller Rettung
rechtfertigen lassen? Stattdessen: tabula rasa, die Menscheit so rein wie am
sechsten Schöpfungstag. Jeder Anspruch an Realismus, den ein Film stellen
kann, darf für die betrachteten drei Filme an dieser Stelle bereits getrost
lächelnd zu den Akten gelegt werden.
Dier Kontext der Katastrophen ist immer biblisch, ob es nun das vom Himmel fallende
Feuer des Asteroiden ist, die dann zu erwartende Sintflut oder, wie in Independence
Day, eine intergalaktische Heuschreckenplage. Und die Menschheit rückt
schauernd unter einem Gedanken zusammen, der da Überleben heißt.
Verständlich, aber alle weiteren Ereignisse haben dann vor allem drei Funktionen:
Sie fungieren als soziale Reinigungsprozesse, sie stiften neue Bindungen - die
bei näherer Betrachtung doch wieder nur die alten sind - und sie bestätigen
ein antiquiertes Menschenbild aus den Anfangstagen der Industrialisierung. Die
cineastische Antwort der Filmindustrie auf das Millenium-Theater präsentiert
uns lediglich alten Wein in neuen Schläuchen. Offensichtlich soll eine
plausible Story nicht von der bemerkenswerten Tricktechnik ablenken. Sorry,
but we are not amused.
Das Böse
lauert immer in den Städten. Dort, im Sündenbabel, brechen nach Bekanntgabe
der bevorstehenden Katastrophe Plünderei, Brandstiftung und Gewalt aus.
Auf dem Land dagegen bleiben die sozialen Systeme bis zum Schluss intakt. Nur
die Straßenreinigung versagt, aber das wäre auch ein bisschen viel
verlangt.
Angesichts des Untergangs zeigt auch jeder mit einem Mal sein wahres Gesicht
und wird für sein Psycho-Outing auch gleich belohnt oder bestraft. Dies
geschieht nach dem Prinzip einer übergeordneten, allwissenden Gerechtigkeit.
Die Feuerwalzeg in Independence Day scheint genau zu wissen, wen sie vor sich
hat. Und in einer kleinen Vorwegnahme des Fegefeuers - praktisch auf Sparflamme
- werden bevorzugt die sexuellen Abweichler auf den rechten Weg gebracht (als
in die Handlung eingeführte Personen ein Homosexueller und eine Strip-Tänzerin).
In Deep Impact entkommen vor allem die Singles nicht ihrer gerechten Strafe
für ihr offenbar fehlgeleitetes selbstbestimmtes Leben: die Fernsehreporterin
mit ihrem gerade wieder getrennt lebenden Vater. Die einsame Mutter hat sich
selbst vorher den Garaus gemacht und ih ihrem Selbsthunger auch noch für
ein individuelles Dahinscheiden gesorgt. Gerettet wird vor allem die Kombination
Mutter-Kind oder frisch Verheiratete.
Übrig bleiben von allen Figuren, die uns in den Filmen vorgestellt werden,
die Guten, Gläubigen und Tüchtigen. Die daraus neu entstehenden Strukturen
sind eigentlich die alten: die ländliche, amerikanische Mittelstandsfamilie
in God own country. Die Katastrophe hat alles Morsche und Lasterhafte beseitigt
und niemand musste sich dabei die Finger schmutzig machen. Das zumindest garantieren
Stars and Stripes forever. Zwar versinkt einmal die Freiheitsstatue im Feuer
und einmal in den Fluten, aber dabei handelt es sich ja ohnehin nur um französische
Importware, die für Krisen nicht taugt. In bester Evolutionsmanier bringt
all das Unheil die Überlebenden ein gutes Stück weiter. Mit ungefähr
gleicher Motivation mag man schon vor hundert Jahren in manchen Intellektuellenkreisen
Europas auf den großen Krieg gewartet haben, der den neuen Menschen, das
humanoide Zukunftsmodell bescheren soll.
Die Katastrophe kittet alle vorher problematischen Beziehungen. Sowohl die persönlichen
als auch die nationalen. Das ist auch kein Wunder, da die Schurken schneller
ausgestorben sind als die Dinosaurier. In allen drei Filmen ereignet sich analog
zu einer Hochzeit die Kooperation der führenden Industrienationen unter
Federführung der Vereinigten Staaten.
Im weiteren Sinne gilt das Stiften neuer Bindungen auch für familiäre
Beziehungen. In Independence Day sind es Vater und Sohn, in Deep Impact Vater
und Tochter und in Armageddon Vater und Schwiegersohn, die plötzlich ganz
uncool anfangen wie vernünftige Menschen miteinander zu reden. Seltsamerweise
fehlt in allen drei Fällen die Mutter. Man kann das auch als Allianz der
Generationen sehen, die zum Beispiel in Deep Impact auch ihr Analogon in der
Besatzung des Raumschiffes findet. Die Erfahrung der Alten und das Know-How
der Jungen greifen nach einigen Anlaufschwierigkeiten ineinander und formieren
das Winning-Team. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass der häufigste
Satz in allen drei Filmen Ich liebe dich sein dürfte (selbst
Shakespeare in Love gerät da vermutlich ins Hintertreff). Aber es sind
immer nur Allianzen, zwischen solchen, die schon einmal glücklich miteinander
verbunden waren und die - mögen sie auch noch so spleenig und individuell
erscheinen - die gleiche Lebensweise, nämlich die Amerikanische, teilen.
In Independence Day geht dabei jeder soziale Unterschied verloren. Präsident,
Fernmelde-ingineur und Soldat unterhalten sich ohne die geringsten Schwierigkeiten
miteinander; man könnte sie abseits der Befehlskette für Strandkorbnachbarn
halten.
Jeder gesunde Mensch scheint schlagartig seinen Platz zu kennen und den Abweichlern
bleibt, wie schon erwähnt, keine Zeit mehr sich zu besinnen. Sie sind dazu
verdammt, mit ihrer postmodernen Beliebigkeit außerhalb familiärer
Bindungen unterzugehen.
Die Lösung des Konfliktes gelingt in allen Filmen durch die Anwendung moderner
Technik durch Spezialisten einerseits und Freaks andererseits. Interessant ist
dabei, dass die Lösung immer eine militärische ist. In Independence
Day durch die Fernlenkraketen der Luftwaffe, in Deep Impact und Armageddon sogar
durch Atomwaffen. Die Möglichkeit eines radioaktiv verseuchten Meteoritenregens
wird dabei nicht erwogen. In allen Filmen hat das Militär das Positiv-Image
als Retter der Zivilisation ohne störende Nebengeräusche.
Trotzdem ist es niemals die Technik allein, die die Rettung ermöglicht.
Die Katastrofe wird letztendlich nur durch ein Menschenopfer verhindert, also
einen religiösen Akt zusätzlich zum wissenschaftlich-militärischen.
In Independence Day opfert sich der Pilot eines Düsenjägers, in Armageddon
der Leiter des Bohrtrupps und in Deep Impact - man geht auf Nummer Sicher
- gleich die gesamte Raumschiffbesatzung.
Der Impuls zur Opferung kommt immer von männlichen Auslaufmodellen, es
sind die Neandertaler,die die Welt retten: ein ehemaliger Trinker, der angesichts
der Außerirdischen eine spontane Selbstheilung nebst Nassrasur erfährt
(Independence Day), ein vergreister NASA-Astronaut (Deep Impact) und der John
Wayne der Öl-Bohrer (Armageddon).
Die Männer retten die Welt und zwar auf die männlichste aller Arten:
als Krieger. Independence Day ist an sich nur ein Kriegsfilm. Frauen haben in
allen Streifen nur emotionale Bedeutung als Ehefrau oder Mutter, bestenfalls
unterstützende Funktionen im Team der ganzen Kerle. Die Frau kommt also
nur in der gezähmten Version als Quote oder Seelenschmalzbrot daher. Die
Rettung der Welt ist dabei immer analog ein Befruchtungsvorgang. In Independence
Day dringt die Atombombe wie ein Spermium in die Eizelle des Mutter(!)-Schiffes
ein, in Deep Impact und Armageddon wird die Bombe in die Haut des Kometen gebohrt.
Zerstörung als Schöpfungsakt, es werde Licht, worauf dann
der Menschheit ein Lichtlein aufgeht: männlicher Rationalismus und Opferhaltung
sind die Rettung vor den Auswüchsen der Natur, die für das Urweibliche
steht. Das ist die seichte Botschaft aller drei Filme.
Aber das ist ein alter, sehr alter Hut. Dieser Mythos zieht sich seit Darwins
Evolutionstheorie durch Literatur, Malerei und Film. In den drei genannten Filmen
bekommen wir nur die aktuellste Fassung vom Überleben der Tüchtigsten
angesichts der New Frontiers zu sehen. Deswegen hat auch keiner
der Streifen auch nur den Hauch des Visionären. Ganz im Gegenteil sind
sie eine ebenso krude wie ordinäre Zementierung des Hier und Jetzt. Und
es steht zu befürchten, dass das neue Millenium an diesem Strickmuster
nicht viel ändern wird. Man kann nur hoffen, dass die Welt eines Tages
mit mehr Schneid den Bach runtergeht.
[MHB]