Rendezvous mit Joe Black
Wer ist Joe Black? So lautet die unbeantwortete und immer eindringlicher gestellte
Frage an William Parrish, dem der mysteriöse Joe Black seit seinem plötzlichen
Erscheinen gleich einem zweiten Schatten nicht mehr von der Seite zu weichen
gewillt ist. William Parrish ist ein Mann, der auf sein 65 Jahre währendes
Leben ohne Reue zurückblicken kann. Er ist Vater zweier erwachsener, selbständiger
Töchter und ein überaus erfolgreicher, allseits sehr angesehener und
geschätzter wie korrekter Geschäftsmann. Als Vorsitzender von "Parrish
Communications" zählt er zu den obersten Kreisen der Hochfinanz; er
repräsentiert einen der wohlhabendsten Männer Amerikas, der trotz
Macht und Besitz privat wie geschäftlich ethische und moralische Werte
zu verwerfen nicht bereit ist. Demgemäß widersetzt er sich vehement
den opportunistischen Bestrebungen seines Konzerns, sich an ein modernes Kartell
(aus)verkaufen zu wollenÊ-Êwenn auch zunächst ohne Erfolg. Skrupellose,
kapitalistische Machtgier treibt den karrierebesessenen potentiellen Schwiegersohn
Parrishs dazu, den gewissenhaften Aufsichtsrat von "Parrish Communications"
zu manipulieren und den so geschäftlich zum nicht konkurrenzfähigen
Idealisten gestempelten W. Parrish ins berufliche Aus zu katapultieren. Im Privaten
dominiert Emotionales über Rationales; demonstrativ hält William Parrish
seiner nach seinem Geschmack allzu rationalen (Lieblings-)Tochter Susan ein
väterlich-beherztes Plädoyer für die einzigartige Kraft der Liebe
und beteuert: "Wer sich in seinem Leben nicht einmal richtig verliebt,
der hat sein Leben gar nicht gelebt." Über dieser perfekt anmutenden
Erfolgsstory bahnt sich jedoch Unabwendbares an. Der Medienmogul wird mit der
ersten Einstellung und auch im Folgenden heimgesucht von quälenden Herzattacken,
deren Erscheinen jedesmal begleitet ist von einer mysteriösen Stimme, deren
Kassandraflüstern Parrish deutlich mehr verwirrt als es sein angeschlagener
Gesundheitszustand vermag, zumal diese Stimme aus dem Nichts unter anderem durch
ein repetierendes Verfahren bemüht zu sein scheint, den Sinn der Worte
Parrishs zu erfassen. Noch am selben Abend präsentiert sich Parrish die
Stimme in Gestalt eines smarten jungen Mannes, der sich selbstbewusst zum Dinner
einlädt. Parrish errät nach anfänglichem Unglauben rasch, um
wen es sich bei seinem ungebetenen Gast handelt: "Du bist der Tod".
Der Leibhaftige schlägt Parrish einen Deal vor: William sei aufgrund seiner
umfassenden Kompetenz und Lebenserfahrung prädestiniert dafür, dem
Tod einen Gefallen zu tun: Parrish soll ihn durch seine Welt führen, er
wolle alles erfahren - als Gegenleistung erhalte Parrish Zeit. Da jegliche Wahloption
entfällt, nimmt Parrish an. Die wahre Identität "Joe Blacks"
darf Parrish unter keinen Umständen irgendjemandem preisgeben, sonst sei
das Abenteuer vorzeitig für ihn zu Ende. Da der Tod einen Körper brauchte,
ließ er einen attraktiven Junggesellen sterben, der gerade noch dabei
war, Tochter Susan nach allen Regeln der Flirtkunst liebestoll zu machen. So
beginnt Parrishs Tochter ohne es zu wissen im Haus ihres Vaters ein amouröses
Abenteuer mit dem Tod. Das Schicksal nimmt seinen Lauf, ohne daß Parrish
relevante Einflussmöglichkeiten zum Einsatz bringen kann - hatte er seiner
Tochter doch immer eine Liebe gewünscht, die sie so "richtig erwischen"
möge ... Zu emotionsgeladen stellt Brests Film selbst den Gefühlskino
präferierenden Zuschauer auf eine manchmal (zu) harte Probe. Das für
das Gute im Menschen plädierende moderne Märchen zeichnet in 180 Minuten
Superlativ-Sentimentalität, die das Thema des bewussten Umgangs eines um
seine unausweichlich näher rückende Todesstunde wissenden Menschen
in den Hintergrund verbannt. Der Tod, der das Wunder des Lebens erlernt und
sich in die Geheimnisse und ungeahnten Gefühlsdimensionen der Liebe entführen
lässt, der Tod, der einmal selbst schmerzlich erfahren muss, was es bedeutet,
loslassen zu müssen und einen geliebten Menschen zu verlieren, wirkt doch
etwas "überladen" (und Brad Pitt in seiner Rolle analog etwas
überfordert urteilt der filmdienst), da der Film sich ausnahmslos ernst
nimmt. Der Tod, der sich in Widerstand nicht gewohnter Manier nimmt, was er
will, lernt im Laufe seines irdischen Aufenthaltes menschliche Werte kennen,
er hilft Parrish zu guter Letzt sogar, ein Firmenkomplott zu vereiteln, er erlangt
empathische Qualitäten und haucht Susans großer Liebe zum Abschied
das zuvor geraubte Leben wieder ein. Das ist dann doch vielleicht etwas zu viel
des Guten ...
Rendezvous mit Joe Black (USA 1998) Regie: Martin Brest, Kamera: Emmanuel Lubezki, Darst.: Brad Pitt, Anthony Hopkins, Claire Forlani, Marcia Gay Harden, Jeffrey Tambor Länge: 180 Min., Verleih: UIP.
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